Artikel 3 des Grundgesetzes legt fest, dass niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt werden darf. Die Unterzeichnerstaaten der Behindertenrechtskonvention anerkennen „das gleiche Recht von Menschen mit Behinderungen auf Arbeit. Dies beinhaltet das Recht auf die Möglichkeit, den Lebensunterhalt durch Arbeit zu verdienen, die in einem offenen, integrativen und für Menschen mit Behinderungen zugänglichen Arbeitsmarkt und Arbeitsumfeld frei gewählt oder angenommen wird.“
Während es vielfach sehr im Trend liegt, die eigene Arbeit zu kritisieren und möglichst frühzeitig aus dem Erwerbsleben ausscheiden zu wollen, sprechen die rechtlichen Bestimmungen den Menschen mit Behinderung nicht eine Pflicht, sondern ein Recht auf Arbeit zu. Auch wer bereits einmal länger arbeitsunfähig erkrankt war, wird sich erinnern: Nach der Genesung endlich wieder arbeiten zu können, wurde als Rückkehr in das „normale Leben“ empfunden. In der Fachsprache wird das Teilhabe genannt und tatsächlich sind es neben dem Gehalt viele andere Aspekte der Arbeitstätigkeit, nach der auch Menschen mit Behinderung streben. Es sind beispielsweise die beruflichen Herausforderungen, die Anwendung der eigenen Kompetenzen, Selbstverwirklichung und die sozialen Kontakte am Arbeitsplatz.
Gleichzeitig können weder die betroffenen Beschäftigten noch die anderen Beteiligten im Betrieb ignorieren, dass eine Behinderung bei der Arbeitsplatzgestaltung oftmals spezifisch berücksichtigt werden muss und eine Tätigkeit nach „Schema F“ diesen Menschen möglicherweise nicht gerecht wird.
Weil das über die gewohnte Routine meist hinausgeht, stehen manche Unternehmen der Beschäftigung von Menschen mit Behinderung möglicherweise immer noch skeptisch gegenüber. Dann heißt es mitunter schnell „mit so einer Erkrankung kann man bei uns nicht arbeiten“. Allerdings schreibt das 9. Sozialgesetzbuch die Rechte von Menschen mit Behinderung konkret fest. Beispielsweise zählen dazu die volle Anwendung und Weiterentwicklung von Fähigkeiten und Kenntnissen, die bevorzugte Berücksichtigung bei innerbetrieblicher beruflicher Bildung, Teilnahme-Erleichterungen bei außerbetrieblicher beruflicher Bildung und insbesondere behinderungsgerechte Arbeitsstätten. Sofern ihre Behinderung es erfordert, steht ihnen auch eine Teilzeitbeschäftigung zu.
Die Suche eines geeigneten Arbeitsplatzes oder einer geeigneten Tätigkeit soll allerdings nicht in einen „Schonarbeitsplatz“ münden, denn dies würde betrieblich eine randständige Position bedeuten, in der sich der Beschäftigte mit Behinderung kaum als vollwertiger Kollege mit der Gewissheit fühlen könnte, gebraucht zu werden und zum Teamerfolg beitragen zu können.
Vielmehr ist eine volle funktionale Integration betroffener Beschäftigter anzustreben. Da Behinderungen sämtliche Organe und Körperfunktionen betreffen können, lassen sich dafür allerdings keine Patentrezepte aufstellen. Grundsätzlich ist es ratsam, alle Beteiligten im Betrieb an einen Tisch zu bringen und die Arbeitsplatzgestaltung gemeinsam durchzuführen. Für den individuellen Menschen mit Behinderung ist ein individueller Zuschnitt des konkreten Arbeitsplatzes anzustreben. An diesem runden Tisch nehmen zweckmäßigerweise der Vorgesetzte, die Personalabteilung, die Arbeitnehmervertretung, die Schwerbehindertenvertretung und nach Möglichkeit der Betriebsarzt, ggf. auch die Sicherheitsfachkraft Platz.
Es ist essenziell, dass der Beschäftigte mit Behinderung vor allen Dingen selbst an der Gesprächsrunde teilnimmt, damit nicht über ihn gesprochen wird, sondern mit ihm. Psychologisch kann es für ihn herausfordernd sein, als Betroffener im Mittelpunkt der Diskussion zu stehen. Idealerweise übernehmen es daher die Schwerbehindertenvertretung oder der Betriebsrat, vielleicht auch der Betriebsarzt, ein vertrauliches Vorgespräch mit dem Beschäftigten zu führen und ihm Unterstützung und Rückendeckung während der Gesprächsrunde zusichern.
Viele Behinderungen sind offensichtlich, etwa wegen einer Gehbehinderung auf die Nutzung eines Rollstuhls angewiesen zu sein. Aber es gibt daneben eine sehr große Zahl von Behinderungen, deren gesundheitliche Ursachen nicht von außen erkennbar sind. Beispiele sind Krebserkrankungen, Infektionen und vor allen Dingen psychische Erkrankungen. Dem betroffenen Beschäftigten ist glaubwürdig zu garantieren, dass er in einem solchem Fall nicht genötigt wird, seine Diagnose bekannt zu geben.
Es kann lediglich um die Klärung gehen, welche beruflichen Auswirkungen seine Behinderung hat, wie er seine eigene Situation einschätzt und welchen Leistungsanforderungen er sich gesundheitlich gewachsen fühlt. Das Augenmerk ist hier nicht auf Defizite, sondern auf Potenziale zu legen. Mitunter wird erst im Rahmen der individuellen Arbeitsgestaltung deutlich, welche - bislang vielleicht unbekannten - beruflichen Fähigkeiten der Beschäftigte mitbringt. Das so ermittelte Leistungsprofil ist - kreativ und wohlwollend - mit den betrieblichen Möglichkeiten abzugleichen.
Die Teilnehmer des runden Tisches sollen sich durchaus darüber klar sein, dass bei der Arbeitsplatzgestaltung mitunter divergierende Interessenlagen zu berücksichtigen sind. Während der Beschäftigte mit Behinderung in gewissem Umfang Rücksichtnahme erwarten darf, können seine Teamkollegen unter Umständen Ungleichbehandlung vermuten. Der Vorgesetzte hat primär den Geschäftserfolg im Fokus und wird Ausnahmeregelungen zunächst kritisch sehen. Daneben kommen Information und Transparenz, Motivation, Gleichberechtigung und „Gleichverpflichtung“ des Menschen mit Behinderung und seiner Kollegen als zusätzliche Herausforderungen auf ihn zu.
Die Arbeitsplatzfindung und -gestaltung für Menschen mit Behinderung wird dann gelingen, wenn alle Beteiligten sie konsensorientiert in Angriff nehmen und wenn sich im Betrieb eine grundsätzliche Inklusionskultur etabliert hat. Es wird sich herausstellen, dass damit eine Win-win-Situation geschaffen wird, die letztlich dem sozialen Frieden und auch der Reputation nach außen nutzt.