Meine Diplomarbeit habe ich vor rund 35 Jahren über das Thema "Das Spiel in der Jugendarbeit" geschrieben. Ein grundlegendes Literaturwerk damals war für mich "Homo Ludens" - der spielende Mensch - von Johan Huizinga. Das Werk ist erschienen 1938, also zu einer Zeit, in der es noch kein Internet und keine Smartphones gab, wohl aber Menschen, die im Glücksspiel bereits "Haus und Hof" verloren hatten.
Zunächst unterscheiden wir in der Suchtprävention zwischen "Pathologischem Glücksspiel" und der Internet- oder Medienabhängigkeit. Beiden gemeinsam ist, dass es die Menschen in ihren Bann zieht, wohl auch deswegen, weil man mit den verschiedenen Zeitvertreiben in eine andere Rolle hineinschlüpft. Wenn wir uns mit den freiwillig akzeptierten Spielregeln einlassen, verlassen wir damit ein Stück weit - oder besser: eine Zeit lang - die Realität, bis sie uns eben wieder einholt.
Diese Spielregeln werden nicht von uns gemacht. Das sind teilweise historisch-traditionelle Regeln, denen wir uns beim Skat oder beim Poker unterwerfen, oder auch die Regeln, die uns Microsoft in dem Moment vorgegeben hat, indem wir die Akzeptanz der allgemeinen Geschäftsbedingungen angeklickt haben (nachdem wir sie natürlich genau durchgelesen haben). Oder auch die Regeln, die wir freiwillig akzeptieren, wenn wir online mit Freunden "Leage of Legends" spielen. Dass auch hier der Spaßfaktor nicht zu kurz kommen soll, steckt schon im wohl ausgeklügelten Namen, der abgekürzt LoL = "Laughing out Loud" bedeutet.
Und schon Huizinga hat bereits vor achtzig Jahren erkannt, dass Spiel "begleitet wird von einem Gefühl der Spannung und Freude und einem Bewusstsein des "Andersseins" als das "gewöhnliche Leben" (in: Homo Ludens).
Beim Glücksspiel ist es das Spiel mit der, mit dem Mystischen, Nicht-Vorhersehbaren. Der Glaube an eine ausgleichende Gerechtigkeit, wenn man ansonsten im Leben benachteiligt worden ist. Es ist explizit nicht das Vertrauen in die eigenen Kräfte, sondern der Glaube an eine höhere Macht. Und die Hoffnung, dass man diese Macht dennoch ein wenig beeinflussen kann.
Und bei Internetspielen, in denen man sich in eine Rolle begibt, einen "Character" formt, in den man schlüpft, ist es ähnlich: Die eigenen, realen Kräfte vermischen sich mit den virtuellen, die man seiner Rolle gegeben hat, und gemeinsam entschwindet man in das "Anderssein".
Für alle Suchtformen gilt, dass man in Stresssituationen der Wirklichkeit ausweichen will: zuerst nur ein klein wenig, dann immer häufiger, immer tiefer hinein in eine andere Welt. Diese Spirale, immer mehr von demselben zu brauchen, um denselben Effekt zu erzielen, nennt man "craving", und das Vorhandensein ist ein wesentliches Kriterium bei der Diagnose, dass es sich bei den Betroffenen tatsächlich um Sucht handelt.
Mittlerweile gibt es verschiedene Ansätze, dieser Sucht therapeutisch zu begegnen. Gute Vorsätze helfen hier gar nichts. Sie können nicht eingehalten werden. Das kennen wir vielleicht von verzweifelten Versuchen eines Alkoholikers, mit dem Trinken aufzuhören. Viel wichtiger ist die Stresssituationen, die suchtfördernd sind, ausfindig zu machen und sie zu untersuchen. Im Betrieb hat das sicher etwas mit einem strukturiert aufgebauten Arbeits- und Gesundheitsschutz zu tun.
Das ist die wichtigste Verknüpfung in der Betrieblichen Suchtprävention. Wie das geht, erfahren Sie im Symposium "Sucht - Prävention und Hilfe im Betrieb" vom 06.-07.12.2022 in München in meinem Workshop "Internet, Smartphone, Glücksspiel & Co.".