Der Umgang mit unterschiedlichen Erwartungen und Interessen

 

730x300 4 Personen im Gespräch

Der Betriebsrat ist die gewählte Vertretung der Arbeitnehmerschaft eines Betriebes. Bei der Ausübung seiner Aufgaben wird das einzelne Betriebsratsmitglied mit unterschiedlichen Erwartungen konfrontiert. Belegschaft, Arbeitgeber, Betriebsrat-Kollegen und die Kollegen am Arbeitsplatz haben sehr unterschiedliche Erwartungen an den Betriebsrat.

  • Die Belegschaftsmitglieder erwarten, dass der Betriebsrat engagiert und fähig ist, ihre Interessen dem Arbeitgeber gegenüber erfolgreich durchzusetzen.
     
  • Der Arbeitgeber hat unternehmerische Zielvorstellungen. Er erwartet vomBetriebsrat, dass dieser am Wohle des Unternehmens mitwirkt, so wie er es versteht, seine Position nachvollzieht und im Idealfall sogar unterstützt.
     
  • Die Betriebsratkolleg*innen erwarten, dass das Betriebsratsmitglied die gemeinsamen Ziele und Strategien mitträgt und tatkräftig zu verwirklichen hilft. Darüber hinaus wird häufig von neu gewählten Betriebsratsmitgliedern erwartet, dass sie die Traditionen und "bewährten" Verfahrensweisen des Betriebsrates mittragen.
     
  • Das Betriebsratsmitglied selbst hat auch eigene Zielvorstellungen und Ideen, die es mit dem Betriebsratsamt verknüpft und über den Betriebsrat durchsetzen möchte.

Wenn Betriebsräte diesen unterschiedlichen und konträren Erwartungshaltungen auch nur annähernd gerecht werden wollen, benötigen sie eine entsprechende Handlungskompetenz in ihrer Betriebsratsarbeit! Als gewählte Interessenvertretung der Belegschaft besitzt der Betriebsrat das befristete Mandat, die Interessen der Arbeitnehmer im Betrieb zuvertreten. Da es sich um einen zeitlich begrenzten Auftrag handelt, steht der Betriebsrat von Wahl zu Wahl häufig unter einem "Erfolgszwang". Der Betriebsrat sollte deshalb in der Lage sein, die tatsächlichen Interessen der ArbeitnehmerInnen zu erkennen. Für viele ArbeitnehmerInnen hat der Betriebsrat eine Art Stellvertreterrolle. Sie erwarten, dass er etwas "herausholt". Oftmals interessiert es sie dabei nicht, wie dies geschieht. Sie selber möchten meist lieber im Hintergrund bleiben und nicht persönlich ihre Interessen kund tun. Dies wird auf Betriebsversammlungen häufig zur "schmerzhaften" Erfahrung für die Betriebsräte. Im Vorfeld stellen Arbeitnehmer zwar Forderungen, beklagen sich, oder "lassen sonst wie Dampf ab", in der konkreten Situation der Betriebsversammlung jedoch traut sich dann kaum jemand dies persönlich vorzutragen. Daneben orientieren sich Arbeitnehmer in ihren Erwartungen an Betriebsergebnissen, von denen sie persönlich etwas haben (Weihnachtsgratifikation, etc.); sie wollen "ihren" Anteil. Besonders schwierig ist es für Betriebsräte, folgende Sachverhalte genauzu erkennen:

  • Wie sind die Interessen der ArbeitnehmerInnen schwerpunktmässig undzahlenmässig gelagert. D. h. wie viele Mitarbeiter haben bestimmte Interessen, bzw. wie gewichtig sind bestimmte Interessen. Der Betriebsrat steht deshalb in der Regel vor der schwierigen Aufgabe, die Interessen einzelner Gruppen bzw. einzelner Arbeitnehmer sorgfältig abzuwägen und zu entscheiden, für wen er dann vorrangig eine Lösung anstrebt.
     
  • Entspricht das bekundete Interesse auch dem tatsächlichen Interesse der kompletten Belegschaft? Wünsche nach Änderungen des Kantinenessens oder Parkplatzrangeleien sind erfahrungsgemäß oft nur vorgeschobene Probleme für andere dahinterliegende Unzufriedenheiten oder Konflikte, die nicht offen benannt werden. In solchen Fällen empfiehlt es sich für den Betriebsrat genauestens zu recherchieren, wo das wirkliche Problem steckt, bevor er Lösungen für Scheinprobleme erkämpft und dabei zudem seine Glaubwürdigkeit riskiert.

Eine zentrale Frage in der Betriebsratsarbeit ist also: Wie wirksam bringt der Betriebsrat die tatsächlichen Arbeitnehmerinteressen ein und wie weit gelingt deren Umsetzung?

Es liegt in der Natur der Betriebsratsrolle, dass sich in diesem Handeln Konfrontation nicht immer vermeiden lässt. Es ist in der Regel nicht leicht, die unterschiedlichen Erwartungshaltungen von Arbeitnehmern und Arbeitgeber unter einen Hut zu bringen. Das gleiche gilt für das Betriebsratsgremium. Auch hier herrschen oftmals unterschiedliche Interessen und Meinungen. Der erfolgreiche Umgang mit diesen unterschiedlichen Anforderungen setzt ein grosses Maß an kooperativen Fähigkeiten und Verhaltensweisen voraus. So verständlich im Einzelfall Konfrontation auch sein mag (z. B. wenn die "Schmerzgrenze" erreicht ist), so sollte sie nie zur Grundhaltung des Umgangs mit der "Gegenseite" werden. Aus der Konfrontation heraus wird es schwer sein herauszufinden, wo denn die unterschiedlichen Interessenlagen und Ziele ihre Berührungspunkte haben, wo es Annäherung und Übereinstimmung gibt, wo Entgegenkommen und Kompromisse möglich werden. Kooperation setzt Vertrauen voraus und sie schafft Vertrauen, das auch gelegentliche Konfrontation verträgt.

Die Hauptschwierigkeiten, im Betriebsrat zu einem gemeinsamen Vorgehen zufinden, ergeben sich aus den folgenden drei Fragestellungen:

1. Sind die Betriebsratsmitglieder in der Lage, ihre individuellen Interessen dem Betriebsratsziel unterzuordnen und dieses mitzutragen, auch wenn sie darin ihre eigenen Ziele nicht oder nur teilweise berücksichtigt sehen?

2. Schaffen es die einzelnen Betriebsratsmitglieder ihre individuellen Interessen, Vorstellungen und Ziele in die Gruppe in einer Art und Weise einzubringen, die von ihr akzeptiert werden kann und die für den internen Klärungs- und Entscheidungsprozess förderlich ist?

3. Ist umgekehrt der Betriebsrat seinerseits tolerant und offen genug, um fair (anerkennend, respektvoll) mit abweichenden Meinungen und Erwartungen Einzelner umzugehen?