Unterlassungsanspruch des Betriebsrats gegenüber dem Arbeitgeber wegen der Duldung von Mehrarbeit bzw. Überstunden

 

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Der Fall:

Arbeitgeber und Betriebsrat haben eine Betriebsvereinbarung zur Arbeitszeit geschlossen. Darin sind u. a. Schichtarbeit und Überstunden geregelt. Die tägliche Arbeitszeit in den Schichtmodellen beträgt acht Stunden.

Zwischen März und Mai 2017 wies das elektronische Zeiterfassungssystem für zwei Arbeitnehmer wiederholt Zeiten von arbeitstäglich mehr als acht Stunden aus. Der Betriebsrat beanstandete dies und forderte den Arbeitgeber auf, den Sachverhalt zu klären und Gegenmaßnahmen zu ergreifen.

Der Arbeitgeber teilte dem Betriebsrat daraufhin mit, die zwei Arbeitnehmer seien bei der Erfassung ihrer Arbeitszeiten technisch versehentlich einem nicht für sie geltenden Arbeitszeitmodell (Gleitzeit- statt Schichtmodell) zugeordnet worden. Man habe den Fehler behoben und die beiden Mitarbeiter auf die Einhaltung der für sie geltenden Arbeitszeiten hingewiesen.

Im Oktober und Dezember 2017 fanden Betriebsversammlungen statt. An beiden Tagen arbeitete ein als Teamleader tätiger Arbeitnehmer jeweils länger als acht Stunden.

Der Betriebsrat verlangt vom Arbeitgeber die Unterlassung des mitbestimmungswidrigen Verhaltens (§ 87 Absatz 1 Nr. 3 BetrVG).

Die Lösung:

ArbG und BAG haben den Antrag zurückgewiesen.

Dem Betriebsrat steht ein allgemeiner Unterlassungsanspruch nicht zu. Es fehlt an einem betriebsverfassungswidrigen Verhalten des Arbeitgebers in Form der Duldung von Mehrarbeit.

Eine das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG verletzende Duldung von Überstunden liegt vor, wenn hinreichende Anhaltspunkte für das Fehlen gebotener Gegenmaßnahmen durch den Arbeitgeber bestehen, um seine Untätigkeit als Hinnahme werten zu können.

Die im Betrieb aufgetretenen Fälle bieten keine Anhaltspunkte dafür, dass der Arbeitgeber Überstunden geduldet hat. Der Annahme einer Duldung steht insbesondere entgegen, dass es zu einer technischen Verwechslung der für die beiden Arbeitnehmer maßgeblichen Arbeitszeiterfassung gekommen ist (Gleit- statt Schichtzeit). Hinzu kommt, dass der Arbeitgeber auf die entsprechende Beanstandung des Betriebsrats zumindest zeitnah die Arbeitszeiterfassung korrigiert und beide Arbeitnehmer auf das für sie geltende Schichtsystem hingewiesen hat.

Ebenso liegt dem - nach Einleitung des Verfahrens aufgetretenen - einzigen weiteren Anlassfall keine Duldung von Überstunden durch den Arbeitgeber zugrunde. Die Umstände, die das Überschreiten des werktäglichen Arbeitszeitrahmens des betroffenen Arbeitnehmers bedingt haben, mögen zwar betrieblich-organisatorischer Art sein. Es fehlt aber an einer erforderlichen Permanenz und Redundanz, um auf das Unterlassen gebotener Gegenmaßnahmen durch die Arbeitgeberin schließen zu können. Eine Hinnahme bzw. Duldung von nicht durch den Betriebsrat „genehmigten“ Überstunden durch den Arbeitgeber ist nicht erkennbar.

Dazu die Orientierungssätze des BAG:

  • Nicht nur die Anordnung, sondern auch die Duldung von seitens Arbeitnehmern geleisteter Überstunden unterliegt der Mitbestimmung des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG, wenn ein kollektiver Tatbestand vorliegt.
     
  • Ob der Arbeitgeber Überstunden duldet, ist unter Berücksichtigung aller Einzelfallumstände zu würdigen. Einmalige, besonderen Umständen geschuldete Überschreitungen der betriebsüblichen Arbeitszeit lassen für sich gesehen nicht auf eine Hinnahme von Überstunden durch den Arbeitgeber schließen.
     
  • Es bestehen Zweifel, ob für ein Unterlassungsbegehren wegen einer Verletzung des Mitbestimmungsrechts aus § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG aufgrund der Duldung von Überstunden eine Wiederholungsgefahr ohne Weiteres gegeben ist, soweit der Arbeitgeber Maßnahmen zur Beseitigung des mitbestimmungswidrigen Zustands ergriffen hat.
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